Die Jahreszeit der Dichter und Denker

Landkreis Stade. Feuchte Spinnennetze leuchten morgens im Licht der aufgehenden Sonne. Von den Bäumen fallende Eicheln prasseln auf Autodächer, das Laub auf den Bäumen verfärbt sich und wird von Tag zu Tag bunter. Einige Blumen blühen wieder. Die Bauern fahren ihre Ernte ein. Quirlige Hornissen sausen durch die Luft und es wird kälter: Der Herbst hat viele eindrucksvolle Facetten. 

Viele Menschen sprechen auch von dem Altweibersommer. Dieser Begriff hat aber nichts mit Weibern (längst veraltet werden ältere Frauen so bezeichnet) zu tun. Sondern der Begriff stammt von Spinnen, die im September und Oktober lange Fäden weben. Weiber ist ein ursprünglicher Begriff von „Weben“. Mit den Fäden, die junge Spinnen weben, segeln sie durch die Luft. 

Im Frühherbst wird es in den Nächten schon recht kalt und in den frühen Morgenstunden bildet sich Tau, der die Spinnenweben deutlich erkennen lässt. Die Fäden glitzern im Sonnenlicht beinahe wie graue Haare. Hier kommen nun doch die „alten Weiber“ ins Spiel. Es verbreitete sich früher das Märchen, alte Frauen hätten beim Kämmen ihre Haare verloren. Die Fäden sollen Menschen, an denen sie kleben bleiben, Glück bringen. 

Allerlei Schauermärchen werden über Hornissen verbreitet, die jetzt Nahrung suchen und zu ihren kunstvollen und gigantischen Bauten bringen. Ihre Wohnungen haben sich die Hornissen an ungewöhnlichen Orten errichtet. So bevölkern sie Nistkästen oder sie suchen sich auch Hohlräume an den Wohnhäusern der Menschen. Bei Licht verirren sich die Insekten dann schon einmal in Stuben, Küchen und Schlafzimmern und sorgen mit sonoren Gebrumm für Angst und Schrecken bei den Menschen. „Dabei sind Hornissen viel scheuer und friedlicher als die meisten Wespenarten“, beschreibt der NABU. Ein Hornissenstaat hat sich zum Beispiel am Rande des Fredenbecker Friedhofs (Stimmbusch) in einem Buswartehäuschen, das den Menschen dort als Schutz vor Regen dient, ein mindestens 60 mal 60 Zentimeter großes Eigenheim gebaut. An den Eingängen des Prachtbaus herrscht emsiges Treiben.

Hornissen sind sozial lebende Tiere, die ein Nast aus kunstvoll aneinander geklebter Zellulose bauen. „Die Stiche von drei Hornissen können einen Menschen, sieben Hornissen ein Pferd töten.“ Dieser Satz wird heute noch häufig ausgesprochen. Ist aber komplett wiederlegt. In der Tat gibt es einige Menschen, die auf Hornissen-, wie auch Wespen- und Bienenstichen allergisch reagieren. Beim Zusammentreffen mit diesen Insekten müssen sie sofort einen Arzt aufsuchen. Gerade im Frühherbst trifft man des Öfteren Hornissen. Der Staat hat dann seine maximale Ausdehnung erreicht, bevor die alte Hornissenkönigin nicht mehr unterstützt wird und ihr Volk bis auf die jungen Königinnen ausstirbt. Die jungen Königinnen und die Drohnen schwärmen bald zur Paarung aus. Die männlichen Tiere überleben nur noch wenige Wochen, während sich die jungen Königinnen einen geeigneten Platz zum Überwintern suchen. Dazu kann beispielsweise morsches Holz oder das Erdreich dienen. Im Frühjahr gründen sie einen neuen Staat. Hornissen stehen unter Naturschutz. 

Vermehrt in den Gärten sind Schnecken (Gehäuse- und Nacktschnecken) zu beobachten, die auf der Suche nach Nahrung sind. Dabei erweisen sich Gehäuseschnecken als wahre Kletter-künstler, die auf ihrem schleimigen Bauch an Ästen und Zweigen entlangrutschen und es sich auf Blättern gutgehen lassen. 

Der Herbst ist nicht die Zeit, um Trübsal zu blasen. Nicht umsonst wird er auch als die Jahreszeit der Dichter und Denker bezeichnet. Das satte Grün der Blätter an den Bäumen, das uns durch den Sommer begleitet hat, weicht nun einem bunten Mix aus Farben, die gerade bei Sonne ein besonderes Flair ausstrahlen. Die ersten Blätter fallen bereits auf die Erde. „Als welkten im Himmel ferne Gärten“, beschreibt der Dichter Rainer Maria Rilke. Optisch hat es der Frühherbst durchaus drauf, wenn wir die verregneten, grauen und stürmischen Tage außer Acht lassen. 

Unsere Laubbäume legen in der kalten Jahreszeit eine Pause ein, um neue Kraft zu sammeln und den Winter zu überstehen. Experten sprechen von der Vegetationsruhe. Die Fotosynthese in den Blättern setzt aus.

Im Überfluss leben zurzeit die Eichhörnchen, die sich einen Wintervorrat an Eicheln, Nüssen, Bucheckern und mehr anlegen, um sich auf die frostige Zeit des Winters vorzubereiten. Ihre Vorräte vergraben sie in der Erde oder in Rinden sowie Astgabeln. Nicht alle Vorräte finden die Eichhörnchen dann auch wieder. Das kommt der Verjüngung der Natur zu Gute. Einige der eingegrabenen Samen beginnen im Frühjahr zu keimen und zu neuen Bäumen heranzuwachsen. Die Eichhörnchen halten keinen richtigen Winterschlaf, sondern sie legen nur lange Schlafphasen ein. Daher benötigen sie im Winter auch Futter. 

In der Landwirtschaft wird im Herbst Erntedankfest gefeiert. Zurzeit werden die Maisfelder abgehäckselt, so dass die Menschen auf der Geest wieder einen weiten Blick über die Felder erhalten. Längst vorbei ist die Zeit, dass die Stoppelfelder im Herbst lange brach liegen. Sofort werden Zwischenfrüchte eingesät, um den Mutterboden vor Erosion im Winter zu schützen. Auch werden Felder schnell wieder mit Wintergerste oder Winterweizen bestellt. Die wenigen Sonnenblumenfelder im Stader Landkreis haben ausgeblüht. So zeigen sich nur noch kleine Sonnenblumen in voller Pracht neben den großen heranreifenden Pflanzen.

Pilze verschiedenster Couleur schießen jetzt im Herbst aus dem Boden. Einige kann man essen. Andere sind giftig. Nur wer sich genauestens mit Pilzen auskennt, sollte sich Pilzmahlzeiten sammeln. Pilzen wird ihr eigenes ökologisches Reich zugestanden, weil sie aus biologischer Sicht weder Pflanzen noch Tiere sind. Was wir auf der Erde als Pilze sehen, sind die Fruchtkörper. Im unterirdischen Bereich besitzen Pilze weit verzweigte Netze, die aus kleinen Wurzeln bestehen und kilometerweit reichen können. Mit Bäumen bilden sie eine Symbiose. 

Von Hans-Lothar Kordländer.